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Fallbeispiel

Annika ist ein sehr neugieriges und wissbegieriges Mädchen. Sie zeigt ein gutes Sozialverhalten und fiel im Kindergarten bereits durch ihre kreativen Ideen auf. Ihre aufgeweckte, motivierende Art macht sie bei ihren Spielkameraden beliebt.

Die Einschulung konnte sie kaum erwarten, aber nach den Weihnachtsferien  kam sie nach Hause und klagte: "Mir ist in der Schule so langweilig. Immer müssen wir ausmalen. Ich will das nicht mehr, das ist Kindergartenzeug." Annikas Mutter versuchte sie zu besänftigen, indem sie sagte, dass es bald bestimmt anders wird. Annika erklärte aber, dass sie immer bereits früh fertig sei mit allem und sich dann einfach langweilen würde. Das Gespräch mit der Lehrerin ergab, dass Annika ihren Mitschülern weit voraus sei und nicht nur hervorragende Leistungen im Lesen und Schreiben zeige, sondern auch in allen anderen Fächern. Nach genauem Abwägen der Vor- und Nachteile durfte Annika zunächst probeweise  in die zweite Klasse gehen. Die aufnehmende Lehrerin unterstützt das Vorhaben und ist begeistert von Annikas Fähigkeiten. Annika fand schnell Anschluss in der neuen Klasse, so dass sie bald ganz in die neue Klasse wechseln konnte.

Brauchen Begabte Beratung?

Eltern berichten in der Beratungsstelle regelmäßig von Kindern, die bereits zu Beginn der Grundschule über Langeweile, Unlust oder fehlende Anpassungs- und Anstrengungsbereitschaft klagen. Die Ursache mag darin liegen, dass den Kindern, die bereits vor Grundschuleintritt erste Lese- und Rechenfertigkeiten zeigen, häufig in den ersten Jahren die intellektuelle Herausforderung fehlt. Aufgrund der Erfahrung, trotz geringer Anstrengung gute schulische Leistungen zu erzielen, kann es vor allem später bei älteren Schülern zu einem Mangel an Lern- und Arbeitsstrategien und zu einem Aufbau eines unrealistischen Selbstkonzepts der eigenen Fähigkeiten führen. Aus Sicht der Lehrer sowie der Eltern stellt Unterforderung ein zentrales Problem bei besonders begabten Kinder dar. Durch eine Differenzierung im Unterricht ist eine individuelle Förderung möglich. Doch der Realisierung stehen nicht selten strukturelle, zeitliche sowie personelle Engpässe entgegen. Ebenso ist eine Identifizierung der Hochbegabung nicht immer einfach und eindeutig. Dies ist jedoch die Grundvoraussetzung, um adäquat fördern zu können.

Was ist Hochbegabung?

Hochbegabung ist eine Disposition (Anlage) für außergewöhnliche Leistungen. Bei einem Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen spricht man von "Hochbegabung", wenn eine sehr hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz vorliegt. Nach der IQ-Definition ist derjenige hochbegabt, wer in einem IQ-Test ein Ergebnis über 130 erzielt. Nach wissenschaftlichen Festlegungen sind dies ca. 2,5% eines Jahrgangs. Die Begabung als Anlage kann sich aber nur dann richtig entwickeln, wenn ein Kind eine unterstützende Umwelt hat und durch fördernde nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale, wie Leistungsmotivation, ergänzt wird.

Dies berücksichtigen die sogenannten Mehr-Faktoren-Modelle von (Hoch-)Begabung (Heller, 1998; Mönks, 1999; Mönks & Ypenburg, 1998; Renzulli, 1978).

Erst bei einem guten Zusammenspiel von Anlage und förderlicher Umwelt ist es wahrscheinlich, dass sich Hochbegabung entwickelt und in besonderen Leistungen zum Ausdruck kommen kann.

Angeborene Leistungsdispositionen sind Voraussetzung für Hochbegabung. Uneinigkeit herrscht darüber, ob unter Leistungsdispositionen ausschließlich intellektuelle Variablen zu fassen sind, oder auch soziale, psychomotorische etc.

Damit sich das Potential in Leistung ausdrücken kann, sind Motivation und Ausdauer,  sowie die adäquate Förderung durch die Umwelt unabdingbar.

Einigkeit besteht in der Forschung darin, dass eine adäquate Förderung von großer Wichtigkeit ist, sei es, um hohe Begabungen zu entwickeln oder um vorhandene Begabungen zur Entfaltung zu bringen.

Außergewöhnliche Fähigkeiten garantieren nicht immer außergewöhnliche Leistungen: Personen, die trotz einer guten Begabung ihr Potential nicht in Leistung umsetzen können, bezeichnet man als "Underachiever". Betrachtet man ihre Anlagen, müssen sie zu den Hochbegabten gezählt werden.

Hochbegabung kann sich im sprachlichen, mathematisch-naturwissenschaftlichen, musischen, motorischen und sozialen Bereich zeigen. 

Hochbegabte mit  hervorragenden Leistungen in mehreren Fähigkeitsbereichen nennt man Multitalente.

Personen, die in einem Bereich herausragende Leistungen zeigen nennt man Monotalente.

 

Hochbegabung erkennen

Eine frühe Identifikation von  Hochbegabung ist wünschenswert, um die Begabungsentfaltung optimal zu fördern.

Bei hochbegabten Kindern lassen sich häufig frühe Anzeichen für eine sehr gute Begabung erkennen. Hierzu gehören:

  • frühreife Entwicklung der Motorik und des Sprechens,
  • außergewöhnliches Gedächtnis,
  • hervorragendes Kombinationsvermögen,
  • verblüffende Leistungen bei Konstruktionsspielen,
  • viel Wissbegierde,
  • Lesen, Schreiben oder Rechnen vor Schuleintritt (was die Kinder ohne Training durch Erwachsene erlernt haben).

Die akzelerierte geistige Entwicklung setzt sich im Grundschulalter meist fort. Hier werden folgende Merkmale augenfällig:

  • außergewöhnliches sprachliches Ausdrucksvermögen oder
  • außergewöhnlich mathematisch logische Denkleistungen,
  • müheloses Abstrahieren,
  • starkes Unabhängigkeitsbedürfnis,
  • vielfältige Interessen,
  • überdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit,
  • originelle Denkleistung.

Viele besonders begabte Schülerinnen und Schüler sind an ihre Umwelt gut "angepasst", d.h. sie kommen mit dem schulischen Lernen, außerschulischen Aktivitäten, mit ihren Familien, sich selbst und anderen gut zurecht. Hier geht es bei der Förderung um die "Anreicherung" des Lernangebots und die Förderung von Interessen. Eine umfangreiche Diagnostik ist in diesen Fällen nicht erforderlich.

Manchmal behindern aber verschiedene Störfaktoren die Begabungsentwicklung:

  • Unterforderungsproblem,
  • soziale Isolation,
  • überehrgeizige Eltern,
  • mangelhaftes Lern- und Arbeitsverhalten des Schülers,
  • Asynchronie zwischen der geistigen und sozial-emotionalen Entwicklung,
  • Teilleistungsprobleme (z.B. LRS).

Kommt es zu auffälligem Verhalten eines/einer Schülers/Schülerin oder zu Problemen, ist eine sachgerechte Diagnose wichtig. Sie bildet die Grundlage für eine adäquate Beratung. Damit sollten Fachkräfte (z.B. Fachärzte, Schulpsychologen) beauftragt werden.

Für die Identifizierung von "Hochbegabung" zu Förderzwecken ist neben einer Datenerhebung unterschiedlicher psychologischer Variabeln (soziales Umfeld, Motivation, Selbst- und Fremdeinschätzung, nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale) der Einsatz standardisierter Testverfahren unverzichtbar. Dies ist die einzige Möglichkeit, Eltern- und Lehrerurteile zu objektivieren.

Es gibt Checklisten, die helfen, begabte Schüler zu erkennen. Solche Listen schützen aber nicht vor Fehleinschätzungen, so dass es wichtig ist, bei der Anwendung fachliche Beratung hinzuzuziehen.

 


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